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    4.4 Rezension (2020.3) zu: Kenn Nesbitt (Hg.), Christoph Niemann (Ill.): Jetzt noch ein Gedicht, und dann aus das Licht! – München: Hanser (2019) in:
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Ein großformatiger, aufwendig gestalteter Band mit aktueller amerikanischer Kinderlyrik, je ein Gedicht von 150 AutorInnen, übersetzt von 115 deutschen SchriftstellerInnen. Gute-Nacht-Gedichte zum Vorlesen. "Jetzt noch ein Gedicht" verspricht der Titel, aber bei einigen Texten ist man sich da nicht so sicher. Man muss ja nicht in jeder zweiten Zeile auf einen Reim stoßen, aber auffallend häufig bieten sie einen guten Anlass, sich über die Grenze zur Kurzprosa Gedanken zu machen. 150 bei uns total unbekannte amerikanische KinderlyrikerInnen hat Nesbitt 2016 um Beiträge gebeten und 115 bis auf einige Ausnahmen weitgehend unbekannte deutsche SchriftstellerInnen haben sie übersetzt. Die Texte könnten genauso gut in Deutschland entstanden sein – oder ist das dem Filter der Übersetzung zu verdanken? Kann man sich eine deutsche Anthologie mit nur halb so vielen AutorInnen vorstellen? Wie der ausführliche Anhang belegt, stehen fast die Hälfte der ÜbersetzerInnen in Beziehung zum Hanser Verlag; der Herausgeber des Bandes Michael Krüger war viele Jahre Verlagsleiter. Hört man in seinem Vorwort die sattsam bekannte Deutschlehrerschelte: sie hätten den Kindern die Liebe zum Gedicht ausgetrieben? Ja, das Problem wird ganz hoch angesiedelt: "Es bleibt eines der großen (ungelösten und offenbar unlösbaren) Rätsel moderner Zivilisationen, dass Kinder, b e v o r sie in die Schule kommen, mit dem größten Vergnügen komische Gedichte lieben". (Übrigens "lag" die Kuh nicht im Schwalbennest, sondern sie "saß").

Selten hat Literatur eine so eindeutig funktionale Bedeutung wie beim Vorlesen von Geschichten und Gedichten vor dem Einschlafen. Kinder lassen sich nicht nur mit Wiegenliedern in den Schlaf hinüber leiten. Die ganze Breite der Themen und Motive wird in den Texten der Anthologie vorgeführt.

Unter der Fülle von Gedichten wird jeder etwas finden, was ihm gefällt. Vielleicht begeistert sich jemand sogar für die Haare in Opas Nase und Ohren (Seite 84) oder das weltbewegende Dilemma mit den Haaren der siebzehn Schwestern im Abfluss (Seite 79)! In der gegenwärtigen Flut von Nonsens-Lyrik nimmt man erfreut die Aufforderung Nesbitts zur Kenntnis: "Gedichte können ernst sein, / manchmal sind sie toll, / einige klar und einfach, / andere geheimnisvoll." (Seite 35) Wie z.B. ein Dreizeiler, der weder gereimt noch rhythmisch gestaltet ist, sondern ein anderes Kriterium von Lyrik erfüllt: das Lakonische, das präzise gemalte Bild, das aufzulösende Geheimnis. "Fährten. Kleine tierspuren / vernähen die weiße Flickendecke des schnees / mit unregelmäßigen stichen" (Seite 142). Da die Originaltexte nicht mit abgedruckt werden, ist nicht sicher, ob das Lob Raoul Schrott oder der Autorin Tracie Vaughn gilt. Für den Leser, auch den kindlichen gilt es immer abzuwägen, ob sich die Mühe gelohnt hat, das Geheimnis zu lüften. Oder ist er enttäuscht über das, was er findet bzw. frustriert, weil er zu keinem Ergebnis gefunden hat. Im gegebenen Beispiel muss ergänzt werden, dass die Illustration von Christoph Niemann massiv Hilfestellung gibt.

Neben eindeutig dümmlichen Gedichten, die immer noch unter "Nonsens" durchgehen können, gibt es auch Texte, die man "Seniorenlyrik" nennen könnte. "Zähl auf dein Glück. Sei dankbar für den Hut, / Denn dafür hast den Kopf, / Und wenn nicht, dann pack / den Tod am eigenen Schopf." (Seite 148) Auch "Niemand kann ewig leben" (Seite 156) sollte man beim Vorlesen lieber überspringen, weil sich dies kindlichem Verstehen nicht erschließt.

Die sieben Kapitel, jeweils eröffnet von einem Gedicht von Nesbitt in der Übersetzung Michael Krügers, sind in der Farbgebung des Layouts voneinander abgesetzt: magenta, gelb, dunkelblau etc. , und zwar in verschiedenen Abtönungen. Die graphische Gestaltung der Illustrationen arbeitet mit breiten Umrissstrichen in Comicmanier in großer Textnähe. Maximal zwei Farben auf einer Seite ergeben ein weitgehend monochromes Bild.

 

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